[Geschichte] Die Sage vom Drachen der windigen Gipfel

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der-Olifant
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[Geschichte] Die Sage vom Drachen der windigen Gipfel

Beitrag von der-Olifant »

Mae govannen, mellyn en nern!
Guten Tag zusammen! Diese Geschichte hier habe ich bereits in einem anderen Forum erzählt, aber ich möchte möglichst viel Kritik zu hören bekommen. Es würde mir sehr freuen, wenn ihr sie durchlesen und etwas dazu schreiben würdet!



1. Die Taverne zum wankenden Drachen

Es war finster in der Taverne. Die Nacht war hereingebrochen, bevor auch das Wetter schlechter wurde. Dicker Regen prasselte auf das Dach des alten Wirtshauses, als wollte er hereingelassen werden. Während der Regen Einlass forderte, zerrte der Wind pfeifend an den morschen Holzbrettern, die der alterschwache Besitzer und Gründer der Taverne schon lange einmal verbessern wollte. Nun konnte er es nicht mehr. Das Holz knackte unter der ungeheuren Bürde des schreienden Windes.
Die Flammen der billigen Wachskerzen, die auf den wackeligen Tischen standen, zitterten nervös im Angesicht des Sturmes, während die Gäste, in dicke, vom Regen schwere Mäntel gehüllt um sie herumsassen und sich flüsternd unterhielten. Ab und zu unterbrach ein leises Donnergrollen von fernher das Geflüster und die angespannten Unterhaltungen im altersschwachen Wirtshaus, das schon zuviel miterlebt hatte. Die Bäume des Waldes rund um es trieften vor Wasser, kleine und grosse Tropfen bahnten sich langsam von den obersten Blättern ihren Weg bis nach unten, in den vom Regen aufgeweichten, matschigen Boden, in dem das Fortbewegen beinahe unmöglich geworden war.
Niemand hielt sich in der stürmischen Dunkelheit auf, die draussen tobte, die die Gräser zum ertränken in kleinen Seen und die Bäume zum zittern brachte.
Die scheuen Tiere des Waldes hatten sich in ihren vielfältigen Verstecken verkrochen, einige Vögel nisteten unter dem Dach des Hauses, das unter der schweren Last des Wassers ächzte.
Ueber die Gestalten im Wirtshaus, allesamt Reisende oder Händler, die sich aufgrund des Wetters gezwungen gesehen hatten, hier zu übernachten, lag ein Schleier der Depression.
Es war beinahe still, nur die stöhnenden und ächzenden Geräusche des Hauses übertönten die dumpfe Stille.
Einige Menschen, mit durchnässtem Haar, sassen da, starrten auf die dreckige, alte Tischplatte und gönnten sich von Zeit zu Zeit einen Schluck des besten Bieres der Taverne.
Nichteinmal der starke Magen eines dickköpfigen Zwerges könnte diesen nach einem Schluck des billigeren Bieres von Schüttelkrämpfen bewahren.
Inmitten der dumpfen Mattigkeit der traurigen Menschen sass ein Barde, ein abenteuerlustiger Geselle, ein Geschichtenerzähler.
Der Stuhl knarrte unter seinem Gewicht, das nun wirklich niemand gerade als gross bezeichnet hätte. Er fuhr sich mit seiner linken Hand durchs lange, dunkelblonde Haar, das nass an seinen Schultern klebte. Die andere Hand benutzte er, um mt ausgestrecktem Zeigefinger das dunkle Gebräu im Bierglas, das jemand hier tatsächlich als Bier zu bezeichnen gewagt hatte, umzurühren. Die Leute verstehen heutzutage einfach nichts mehr von gutem Bier, dachte der Barde traurig.
Ihm wurde langsam bewusst, das er nur solchen belanglosen Blödsinn daherdachte, wenn ihm langweilig ist.
Wie kann ich in diesen öden Laden nur etwas Vergnügen hineinzaubern?, fragt sich der Barde ohne grosse Hoffnung.
Das Licht eines nahen Blitzes drang durch eines der schon lange ungereinigten Fenster aus dunklem Glas. Zu schlechtes Wetter, dachte der Barde.
Zu depressives Publikum...
Was konnte er also tun? Tanzen? Singen? Nein, die Leute würden ihn als Idioten betrachten, wenn er alberne Tänze bei diesem gar nicht albernem Wetter vorführte.
Unterhaltung muss die Leute ja nicht zum Lachen bringen, dachte der Barde, als in ihm eine Idee aufglühte.
Ich könnte ein düstere, schwermütige Geschichte vortragen! Der schwarze Regen, das Schreien des Windes würden der Stimmung seiner Geschichte bestimmt Aufschwung geben. Seine Langeweile würde verschwinden, er würde die dumpfblickenden, biertrinkenden Gestalten auf bessere Gedanken bringen.
Er tunkte seine Finger in sein "Bier", legte sie um den brennenden Kerzendocht vor ihm und erstickte das flackernde Feuer.
Es zischte, Rauch stieg auf und Dunkelheit umgab den Barden.
Einige der traurigen Gestalten in der Taverne schauten ihn mit grossen, erstaunten Augen an. Das Gesicht des Barden, das in Dunkelheit gehüllt war, schaute zurück.
Seine Augen schienen aus dem Dunkel regelrecht zu glühen.
Die Anspannung in der Taverne löste sich auf ein Mal in Verblüffung auf, als der Barde den Mund öffnete und mit seiner gewohnt leisen, doch durchdringenden Stimme zu sprechen begann: "Viele denken, Drachen seien grausame, hirntote Schlächter, nur interessiert am Horten von Schätzen der unter Feueratem Verstorbenen. Ich denke, es wird Zeit, das ich euch eine Geschichte erzähle, die vom wahren Gesicht der Drachen berichtet... Gebt Acht, denn Drachen sind rachedurstig, zerstörerisch und sie zürnen denen, die untrinkbares Bier feilbieten" Er warf einen kurzen, aber deutlichen Blick auf den Besitzer der Taverne, dessen Gesicht plötzlich errötete. Einige der anderen Gestalten lachten gedämpft.
"Doch diese Geschöpfe der Natur sind nicht böse. Ich werde euch von einem Drachen erzählen, den ich persönlich gekannt habe, der mein Freund war..."
Ungläubiges Getuschel durchzog das Wirtshaus.
Dann begann der Barde mit seiner Geschichte...
der-Olifant
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2. Der Drache der windigen Gipfel

"Fernab von der Zivisilation prunkte der windige Gipfel, ein Berg mitten in der rauhen Wildnis des kalten Nordens. Das windumpeitschte, eisige Gestein erhob sich bis zu den bleichen Wolken hinauf. Dieser Berg war so von Eis beherrscht, das er so blau war wie ein klarer Bergsee.
Schneeflocken, vom schneidenden, eisigen Wind getragen wirbelten wie schwerelos leise von den Wolken auf das harte, vereiste Gestein hinab.
Die schwere Stille, die hier vorherrschte wurde nur vom leisen Heulen des Windes durchbrochen. Der Schnee erstickte die Geräusche wie eine weiche, dicke Decke.
Hoch oben, am schlanken Ende des Berges, das nebelverhangen war, da er mitten in den Wolken lag, war da ein schwarzes Loch.
Eine Höhle. Eiszapfen hingen wie Zähne von der Höhle herab, so, dass es aussah wie der weit aufgesperrte Rachen eines verfressenen Monsters.
Das Eis vor dem Eingang sah merkwürdig aus, wie geschmolzen und wieder eingefroren. Alle paar Minuten erhellt eine kleine Flamme aus der Höhle den undurchdringlichen, schweren Nebel wie eine grosse Fackel, die gleich wieder erlischt.
In der finsteren Eishöhle lag eine gewaltige Echse. Sie schlief, ihre gigantischen, doch zart aussehenden Flügel waren dicht an den Körper gelegt, umschlangen ihn, vielleicht um die Echse warm zu halten in dem ewigen Eis. Den Kopf hatte die beeindruckende Echse auf einen Eisblock gebettet, manchmal drang eine kleine Stichflamme aus den grossen, schlitzförmigen Nasenlöchern des Giganten, die jedesmal wieder den Nebel erhellte und den Eisblock ein wenig schmolz.
Die Tropfen fielen herunter, wo sie von anderem Eis empfangen wurden um ihresgleichen zu werden.
Der gewaltige, lange Leib der Echse war über und über mit länglichen, harten Schuppen versehen. Sie waren blau, oder nein, sie waren rot. Aber dann schimmerten sie plötzlich wieder in einem metallsichen grün oder gelb. Der vielfarbige Schuppenpanzer des Wesens war wunderschön, ein naturverbundener Barde würde ein Gedicht darüber schreiben, ein stolzer Krieger würde eine Rüstung daraus schmieden. Wenn er genug Mut und Kraft dazu hätte...
Dicke, schwere Muskeln protzten unter dem prächtigen Panzer aus allen Regenbogenfarben. Lange, schwarze Klauen und Krallen hatten sich tief in das Eis unter ihm gegraben, als ob er sich festhalten wollte. Das Eis knirschte leise. Spitze Zähne prangten in der Echse halboffenem Rachen und zwei rote, schlanke Hörner drehten sich gewunden in die Höhe, wo sie das gewaltige Haupt krönten. Einige ebenso schlanke, fast zerbrechlich aussehende Dornen schmückten den beschuppten Schwanz des Ungetüms. Obwohl das Wesen doch gefährlich wirkte, so sah sie doch elegant und wunderschön aus, verströmte Ruhe und eine Aura von ununterdrückter Macht und stolzer Stärke. Die Echse war einer der letzten Drachen diesseits des grossen Meeres!"

"Und wo... wo ist der Scha... Schatz wenn das ein Drache war?", gröhlte ein betrunkener Gast.
Betrunken?, dachte der Barde. Das ist doch unmöglich! Dieses sogenannte Bier ist zu schlecht, um es nüchtern zu trinken, aber man kann sich nur mit diesem Bier genug betrinken um es geniessbar zu finden, da beisst sich doch die Katze in den eigenen Schwanz!
Er rümpfte die Nase.
"Natürlich hatte er einen Schatz, jeder Drachen ist im Besitz eines Schatzes!", erklärte er ruhig, verschränkte die Arme und erzählte weiter:

"Es schimmerte golden unter dem Eis. Tief unter dem gefrorenen Wasser lagerten die Reichtümer des Drachens in ihrem eisigen Grab. Seit Jahrhunderten sammelte der Drache wie im Rausch Schätze, die er dem Eis überliess, denn da waren sie vor Räuber sicher. Teils hatte er seien Reichtum aus den Dörfern, die vor kälte zugrunde gegangen waren, teils von Abenteurern oder Rittern, die dem Berg zu nahe kamen. Manchmal musste er sich seiner Haut erwehren, denn die Menschen, die kamen hatten es meistens auf die grossartigen Goldschätze abgesehen, auf die mit Edelsteinen besetzten Amuletten, auf die mit Gold verzierten Rüstungen, auf Bögen mit Sehnen aus Elfenhaar, auf Schwerter, versetzt mit magischen Runen und seltsamen Inschriften und auf Berge von Silber- und Goldmünzen.
Als der Drache schlief kam eine Gruppe Menschen, ehrgeizig, stolz, arrogant. Möchtegern Drachenjäger, auch wenn sie sicherlich gut mit ihren Waffen umzugehen vermochten.
Sie begehrten die Schätze, aber auch die Drachenzähne, denen eine magische Eigenschaft nachgesagt wird. Sie wollten im stärkenden Drachenblut baden, die Zunge verspeisen, denn das sorgt für grosse Redefertigkeit, angeblich. Und natürlich vergiftete das Verlangen nach den schimmernden Schuppen ihren Geist, daraus liessen sich schreckliche Rüstungen fertigen, die vor der Magie der Drachen schützte.
Die Nüstern des Drachen bewegten sich hektisch, als er in seinem Schlaf Menschenfleisch roch. Er roch auch Schweiss, Angstschweiss.
Er regte sich nicht, blieb ruhig liegen und wartete ab, was geschehen möge. Schritte auf glattem Eis erklangen, als die Eindringlinge die dunkle Höhle betraten.
Dann vernahm er nervöses Getuschel. "Seht! Der Drache ist hier! Rennt!" Dann ertönte eine zweite Stimme, die streng klang. "Idiot!", schalt der den ersten.
"Der Drache schläft, siehst du das nicht? Genau wie ich vorausgesehen habe!"
"Aber er wirkt so, wachsam..."
"Verdammt, du Feigling! Er schläft!"
Der feige Narr hat recht, dachte der Drache verschlagen. Doch der mutige Narr wird sie mit seiner Leichtgläubigkeit alle töten.
Der Drache erkannte an den hallenden Schritten der eisenbeschlagenen Stiefel, das sich etwa zehn Eindringlinge in seinem Reich befanden.
Doch er blieb noch immer regungslos liegen. Dann erklangen Atemgeräusche direkt vor ihm, der Drache erkannte am Geräusch den mutigen Narr, den Anführer.
"Seht genau her, feiges Lumpenpack, denn nun erlebt ihr, wie ich, Eragos vom Goldtal, einen Drache töte!", brüllte der Leitmann der selbstmörderischen Reise.
Es folgte ein scharrendes Geräusch, ein Schwert, das aus einer Scheide gezogen wird. Dann etwas, das durch die kalte Luft schnitt.
Flink wie eine Schlange schoss der Schädel des erzürnten Drachens vor und biss dem wagemutigen Ritter die Beine unter dem Leib weg.
Blut spritzte und besudelte das glitschige Eis, während der Ritter schrie und sich am Boden herumwälzte. Der Drachen öffnete die Augen. Wie ich vermutet habe!, dachte der Drache. Nur ein Haufen möchtegern Drachenjäger.
Gelbe, intelligente Reptilaugen sahen hinterlistig auf die winzigen Schatzräuber hinab, die wie erstarrt waren. Der Drache schien schadenfroh zu lächeln.
Die Metallplatten der Rüstung, in die die Beine des Ritters gehüllt gewesen waren, knirschten in seinem mahlenden Schlund.
Langsam hob er seine gewaltige Pranke und liess sie auf den armen Rittermann herabfahren, der nocheinmal grässlich schrie. Sein Lebenfunken erlosch endgültig, als seine Klauen schlitztend und quetschtend seinen Körper zerfetzten.
Ein fürchterliches Brüllen erschütterte die Höhle, einige Eiszapfen lösten sich von der Decke und vielen herab. Beim Versuch dem tödlichen Eis auszuweichen rutschte ein Knappe auf dem blutigen Eis aus und fiel schreiend in die Tiefe, dann verstummte der Schrei. Ein anderer wurde regelrecht aufgespiesst und sank röchelnd zu Boden.
Eine Bogensehne sirrte. Geschickt wandte der Drache seinen schweren Kopf zur Seite, der Pfeil verfehlte und zersplitterte nutzlos an einer eisigen Wand. Ein zweiter Pfeil zischte heran, diesmal machte sich der Drache keine Mühe mehr, der Pfeil traf den Kiefer des Giganten, doch der Panzer lenkte ihn ab.
Die riesige Pranke des Ungeheuers holte zum Schlag aus. Zwei der Meschen wurden vom Boden gerissen und gegen das harte Eis geschmettert. Knochen barsten.
Panisch versuchten sich die Eindringlige zu retten, doch da öffnete sich der Rachen ihre unbesiegbaren Feindes, Feuer regnete auf sie herab.
Schmerzensschreie zerrissen die dumpfe Stille über den Wolken, als einige der Totgeweihten wie lebende Fackeln vom Berge fielen.
Ein Ritter warf sein Schwert weg, löste einen Speer vom Rücken und hob seinen gigantischen Schild.
Der Drachenschwanz peitschte durch die Luft, Schild wurde weggeschmettert, Arm verstümmelt.
Doch bevor dieser einzige tapfere Mann zu Grunde ging, liess er seine bedrohliche Last fliegen.
Der Speer durchschnitt die Luft und durchbohrte einen ledrigen Flügel des Monstrums.
Der Drache brüllte vor Zorn und Schmerz, schüttelte die Flügel und warf den Speer ab. Schwarzes Drachenblut floss in Strömen und vermischte sich mit dem der Räuber.
Ein letzter Mann stand da, wie erstarrt. Seine angsterfüllten Augen sahen in die des Drachens. Wieder öffnete sich der Rachen. Der panische Mann liess sein Schwert fallen, schloss die Augen und riss seine Arme vors Gesicht, als er die Ueberreste seiner Kameraden im gähnenden Schlund hängen sah.
Dann war der letzte Feind verlungen gewesen, der Hunger des Drachens hatte sich gestillt.
Ein letztes Mal öffnete er seinen Rachen und spie Feuer auf das Eis. Es schmolz, das Wasser floss über die Leichen und den blutigen Boden und schwemmte alles gen Abgrund. Drachen sind brutal. Aber sie sind auch sehr reinliche Lebewesen."
der-Olifant
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3. Die Nachricht vom grausigen Drachenweib

Einer der Gäste hob seine Hand, wie zur Entschuldigung seiner Unterbrechung der Geschichte. Sein bärtiges Gesicht schaute argwöhnisch drein als er den bartumrahmten Mund zögernd öffnete und sprach: "Beruht diese Geschichte auf Tatsachen? Ich habe noch nie von einem schönen Drachen gehört, immer werden sie als stinkende, abstossende Kreaturen mit fledermausartigen Flügeln beschrieben!"
Der Barde lächelte sein selbstgefälligstes Lächeln, das er in Vorrat hatte, kreuzte seine Beine, verschränkte die Arme und entgegnete selbstsicher: "Ich versichere euch, das alles was ich erzähle eine spannende, stimmungshebende Geschichte ist. Auf die Frage, ob sie sich ereignet hat antworte ich: Findet es selbst heraus!
Ausserdem ist es voll und ganz logisch, das Berichte nie von schönen, wundersamen Kreaturen sprechen. Denn natürlich gibt es auch solche schrecklichen, hässlichen Bestien, und genau diese greifen Menschen an." Einem unwiderstehlichen Impuls folgend, nahm er sich den Kelch mit dem übelriechenden Gebräu, öffnete behände das alte Fenster und schüttete es hinaus. Dabei verzog er das Gesicht und hielt sich mit der einen Hand die Nase zu.
"Etwas das wie die Kacke eines wilden Tieres riecht, sollte auch in die wilde Natur gebracht werden.", meinte der Barde zu dem immer mehr errötenden Besitzer.
Irgendwo vor ihm gröhlte jemand lautstark und tat mit dem "Bier" dasselbe was auch der Barde vorhin getan hatte.
Der Barde grinste schelmisch. "Ich hoffe, euch macht es nichts aus wenn der Boden draussen unfruchtbar wird?"
Der Besitzer, mit hochrotem Kopf und zusammengepressten Lippen, griff nach seinem Dolch, liess es dann aber bleiben und zwang sich zu einem unechten Lächeln.
"Wie dem auch sei... Jetzt decke ich hier, vor meinen verehrten Gästen, den Rest der Geschichte auf! Ich werde darin auch vorkommen und eine wichtige Rolle spielen."

"Vor vielen Jahren, als ich noch jung und neugierig war, sass ich einmal in einer Taverne, dieser hier gar nicht so unähnlich, nur das Bier war besser.
Sie lag im hohen Norden, den ich bereiste um Material für meine Geschichten zu suchen. Wie jetzt rüttelte damals der Wind an der alten Hütte, nur war jener eiskalt und schneidend. Der Schnee quoll beinahe unter der Türe und durchs zerstörte Fenster hinein in die behagliche Wärme der beheizten Hütte. Der Feuer im Kamin wurde richtiggehend belagert, jeder wollte sich einen Platz an der Wärme sichern, denn die Kälte hatte viele wie betäubt. Die tanzenden Flammen warfen wunderliche Schatten
in den Raum, die über die morschen Bretter des Bodens zitterten.
Ab und zu konnte man trockenes Husten vernehmen, irgendwo in dem Gewirr aus Abenteuern, Dieben, Schatzjägern. Feiner Schnee rieselte durch den Kamin, der zischend verglühte, als er dem heissen Feuer zu nahe kam. Ich sass in der Nähe dieses Feuers.
Schnell rieb ich mir die Hände, die bereits eine leicht bläuliche Färbung aufwiesen.
Ich hatte damals ausserordentliches Glück, dass meine Finger nicht abgefroren waren, sonst hätte man sie mir womöglich abschneiden müssen.
Meine Zähne klapperten, ein Geräusch, dem ähnlich, das tappsende Rattenbeine auf trockenem Holzboden verursachen.
In meiner Verzweiflung nahm ich die heisse Gerstensuppe zur Hand, die ich bestellt hatte und kippte sie mir über den Kopf. Dann trank ich Bier. Viel Bier.
Langsam wurde mir wämer, ein wohliges Gefühl, wenn von drei Tage in verschneiten Landschaften unterwegs war.
Die Augen geschlossen, Hände tief im vom Schnee weissen Fellmantel, die Beine auf dem Tisch ausgestreckt schlief ich ein.
Irgendwann in der Nacht drang ein Geräusch wie von fern her durch den Schlaf in meinen Kopf. Benommen schlug ich die Augen auf.
Ein Schrei hallte durch meinen Kopf, der meinen Schlaf in tausende kleine Splitter zersprengte. Ich schoss auf, schlug mit meinen Beinen unabsichtlich mein halbvolles Bierglas vom Tisch, das am Boden zerschellte. Alles war dunkel, alles war still. Niemand schrie, Totenstille beherrschte das Wirtshaus.
Nervös blickte ich mich um, das Gefühl, beobachtet zu werden schlich sich in meinen Kopf ein und wollte nicht weichen. Ich hörte nur meinen eigenen, hektischen Atem.
"Ist jemand hier?", fragte ich tonlos und leise, beinahe flüsternd. Ein Scharren ertönte irgendwo vor mir in der Dunkelheit.
Mein Herz setzt einen Schlag lang aus, dann hämmerte es mit doppelter Geschwindigkeit weiter. Abwechselnd überkam mich eisige Kälte und brennende Hitze.
Kalter Schweiss rann mir über den dicken Fellmantel.

"Bist dus Leid, das hier zu tun,
willst du nun für ewig ruhn?
Hast du Mut, dann geh doch rein,
es wird deine letzte Tat nicht sein!"

Eine kalte, leise Stimme vor mir aus der Dunkelheit sprach diesen Reim. Wie erstarrt blieb ich stehen. wie verzaubert, oder eher verhext von der atemlosen Stimme vor mir.

"Schwärze wird kommen,
deinen Körper verformen!
Drache im Eis,
tödlich und leis`..."

Wie gebannt starrte ich auf die undurchdringliche Wand der Schwärze unmittelbar vor mir.

"Willst du nicht sterben,
deinen Geist nicht verderben?
Dann reise zum Eise,
schreite hurtig und leise."

Voller Angst stand ich da, meine Bein waren kurz davor, nachzugeben. Bald wäre ich gefallen, mein Kopf wäre auf den Tisch geschlagen.
Ein grinsendes Gesicht ohne Körper erschien. Graue Haut, unwirkliches, langes durchsichtiges Haar, das Gesicht eines Weibes. Die Augen wackelten irre.
Der Kopf schoss auf mich zu wie ein Blitz.
"Wach auf, Mann! Du verscheuchst mir hier noch die ganze Kundschaft, Idiot!", erklang eine hallende Stimme irgendwo über mir.
Ich schlug die Augen auf, das erste was ich sah war das bärbeissige Gesicht des Wirtshausinhabers, der mich schüttelte und anschrie.
Es war noch Tag, die Sonne beschien den Schnee draussen vor dem Fenster. Völlig verdattert starrte ich mein Gegenüber an, bevor ich begriff: Es war nur ein Traum gewesen! Die Todesangst fiel ab von mir, ich küsste den nun selbst völlig verwirrten Gasthausbesitzer und stürmte ohne zu wissen, was ich tat zu der Türe.
Die Angeln quietschten, als ich die Tür aufriss.
Dann drehte ich mich nocheinmal um, sah zu den Gästen und sagte fröhlich: "Dann reise zum Eise, schreite hurtig und leise!"
Nun war ich im Freien, meine schmutzigen Schuhe hinterliessen tiefe, braune Abdrücke im Neuschnee.
Das grausige Weib, das Drachenweib hat mir den Ort gezeigt, dachte ich. Was ist es für ein Ort? Ist es wichtig, dorthin zu gelangen?
Doch diese Fragen wollte ich, konnte ich nicht beantworten. Ein Verlangen loderte wie eine Flamme, vom grausigen Weib entzündet in mir auf.
Ich muss, muss einfach, dachte ich. Keine Wahl, richtige Entscheidung...
Was danach geschah, kann ich nicht bestimmt sagen. Wie vom Wahnsinn beherrscht bahnte ich mir meinen Weg in die unwegsame Wildniss.
Immerzu dachte ich über die widersprüchlichen, seltsamen Reime nach und liess meine Füsse ihren eigenen Weg gehen. Irgendwann, nach Tagen der Reise, erschien am Horizont wie eine gigantische Speerspitze der windige Gipfel. Blau, schlank, wunderschön. Mit offenem Mund blieb ich stehen, wo ich war.
Dann lief ich weiter, bis ich zu einer Klippe kam. Dann sah ich es in vollem Ausmass. Unter mir Lag die stille Einöde, die gewaltige Eiswüste des hohen Nordens.
Weit weg, doch trotzdem den ganzen Himmel ausfüllend erstrahlte mein Ziel, der prächtige windige Gipfel in voller Grösse. Seine glühende Spitze verschwand in den fernen Wolken. Das Sonnenlicht brach sich im eisigen Berg, das Berg war von allen Regenbogenfarben erfüllt.
Und noch hinter dem gigantischen Berg lag das schimmernde Meer. Es wogte und schimmerte. Während der schreiende Wind mir um die Ohren peitschte, stand ich einfach da und dachte: Ich muss so schnell wie irgend möglich auf den windigen Gipfel.
der-Olifant
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4. Das schwarze Loch

"Meine Füsse hinterliessen auf dem weissen Boden keinerlei Abdrücke mehr, denn die unbarmherzige Kälte hatte den Schnee hart gemacht, Eis beherrschte die weite Ebene vor mir. Gebeugt von der Last der Zeit wanderte ich. Das kleine Bündel mit Nahrung an meinen geschundenen Rücken schien so viel schwerer zu sein als vor einigen Stunden. Meine Kräfte verliessen mich. Dennoch setzt ich stur meinen Weg fort. Der windige Gipfel war faszinierend, lockend, in seiner glühenden Präsenz.
Die Worte der grausigen Gestalt seines Traumes hallten nun schwächer in meinem Kopf, doch die reine Anwesenheit des Berges reichte aus, um mich voran zu treiben.
Die Augen halb geschlossen, da die herzlose Sonne in das spiegelnde Eis schien, näherte ich mich immer weiter meinem Schicksal, so glaubte ich damals.
Und so glaube ich auch heute noch.
Nach einem schrecklichen Gewaltsmarsch sah ich endlich mein Ziel in voller Grösse. Stolz stand er vor mir, selbstsicher, wie ein Berg nur sein kann.
Da dachte ich: Er lebt. Irgendwie lebt er, ich fühle es...
Dann nahm ich meinen Mut und die verbliebene Kraft zusammen und begann den Aufstieg. Als ich das Eis des Berges vorsichtig berührte, glühte es sanft und warm.
Da hörte ich, was mich nicht überraschte, die vertraute Stimme in meinem Kopf, leise und verhexend.
Die rauhe Stimme des grausigen Drachenweibes.

Sollte dich das Monstrum krallen,
für immer wirst du in die Tiefe fallen,
Eissplitter werden stechen,
Knochen werden brechen.

Immer wieder tauchten diese Worte in meinem Kopf auf, beflügelten mich, vergifteten gleichzeitig meinen Geist. An den glatten Eisflächen des Berges gab es keinen Halt, doch nichts desto trotz stieg immer höher, niemand war Zeuge, niemand erklärte mir, wie ich diese Tat vollbrachte.
Da spürte ich Nässe an meiner Haut. Ich hielt in meiner Kletterei inne, schaute mich verwirrt um. Ich war in den Wolken.
Weisse Nebelschwaden flogen durch mich, wohltuende Flüssigkeit sammelte sich in meinen Mund, als ich einatmete. Obwohl ich meine blutenden Hände nicht sehen konnte, weisse Dunkelheit verdeckte alles, arbeitete ich mich weiter vor, Meter um Meter, Schritt für Schritt. Mein Atem ging stossweise, mein Schweiss mischte sich
mit dem Wasser der Wolken, die an meinem ganzen erschöpften Körper klebte. Ein Lichtschimmer durchstiess vor mir den dichten Nebel, Freude durchflutete mich.
Ich stieg schneller. Die Schwaden teilten sich, wie von einer unsichtbaren Hand beiseite geschoben und gaben den Blick auf den blauen, klaren Himmel frei.
Und da war schrecklicher Schlund, bereit, mich zu verschlingen. Keuchend wich ich zurück, so gut ich konnte und hob schützend eine Hand vors Gesicht.
Dann musste ich unfreiwillig lächeln. Es war bloss eine schwarze, dunkle Höhle. Eiszapfen, die an der Decke herabhingen liessen sie aussehen wie ein geöffneter Rachen mit furchtbaren Zähnen. Ein erleichtertes Stöhnen fand seinen Weg aus meinem Mund.
Dann erkannte ich: Ich war am windigen Gipfel angekommen, am höchsten Punkt der Welt, so schien es mir. Vielleicht ist er es auch.
Knochen und Rüstungsfetzen säumten den glatten Weg zum Höhleneingang. Ich beachtete sie nicht.
Meine Augen in stummer Erwartung weit geöffnet, die Schritte beschleunigt und den Kopf voller rätselhafter Reime trat ich in den Schatten am Ende der Welt.
Die Dunkelheit verschlang meinen Körper, doch meine Hoffnungen, auch wenn sie keine Gestalt hatten, wurden von ihr verschont.
Lange stand ich so da, denn ich konnte so in der Dunkelheit nichts sehen. Meine Nase füllte sich mit merkwürdigen Gerüchen. Einem süssen, bitteren Geruch.
Was könnte das sein?, dachte ich. Verwesungsgeruch? Ich schauderte.
Doch es roch auch nach... Es roch frisch. Frisch und klar. Es ist nicht das Eis, dachte ich verwirrt.
Während ich noch grübelte, erhellte eine lange Stichflamme die Höhle. Gerade noch konnte ich einen erstickten Aufschrei unterdrücken, mit pochendem Herzen sah ich das grauenvollste und gleichzeitig wunderbarste in meinem ganzen Leben. Das brennende Licht der eigenen, aus der halbgeöffneten Schnauze zischenden Flammen erhellte die Schuppen der Echse, die in einem metallischen Blau oder Grün schimmerten. Ein Schauer der Ehrfurcht überkam mich, ein sanftes Kribbeln lief mir über den Rücken.
Der Drache schien nicht überrascht zu sein, im Gegenteil.
Es schien mir als würde er lächeln, doch ich konnte nicht feststellen, ob es von gütiger oder ein bösartiger Natur war.
Ohne eine Bewegung starrte er mir wissend in die Augen. Ich bewegte mich nicht von der Stelle, doch auch wenn das Ungetüm angegriffen hätte, nichts hätte mich dazu bewegen können, wegzulaufen. Bevor ich seinem Anblick verfallen war, hatte ich geglaubt, die Stimme des grausigen Weibes in dieser seltsamen Nacht in der Schänke im hohen Norden hätte mich verzaubert, verhext. Doch jetzt lernte ich die wahre Macht erst kennen, unfähig, dem undeutbaren Blick der wunderschönen Bestie den Rücken zu zeigen. Ich war der Gnade des schönen Todes ausgeliefert.

Da steht die Macht vor dir,
doch achtung, `s ist kein Tier
In seinen Augen glüht ein Feuer,
`s ist niemandem so ganz geheuer!

Ich ignorierte die beschwörende Stimme in meinem Kopf, sah weiter zum Drachen hinauf.
"Wer bist du, das du es wagst in mein Reich einzudringen?!", dröhnte eine gewaltige Stimme. Es war die Stimme des Drachens, doch dieser hatte seine gewaltige Kiefer nicht geöffnet, die Worte schossen durch meinen Schädel, Schmerz erfasste meinen Kopf und zerrte an meinem Geist.
Ich fiel auf die Knie und keuchte. "Bist du ein Abenteuter, der auf Ruhm aus ist? Könntest du ein Schatzjäger sein, der niemandem ausser seiner Gier folgt?
Wirst du dich als Ritter enthüllen, der seinen Mut unter Beweis stellen will?" Die Stimme lachte heiser. "Nein, du kleiner Wicht, du bist kein Kämpfer, nicht wahr? Bist du gar der, auf den ich gewartet habe?"
Meine Hand wollte sich gerade meinem Dolch nähern, doch mir wurde bewusst, das ich den Drachen weder verletzen konnte noch wollte, auch würde es das Wesen vor mir provozieren.
Obwohl ich die Bewegung gar nicht ausgeführt hatte, erkannten die schlauen Augen des Drachens offensichtlich, was in meinem Kopf vorging.
"Du musst nicht kämpfen, wenn ich dich hätte töten wollen, dass wärst du jetzt schon ein stinkender Kadaver irgendwo zerschellt am Fusse des Berges."
Der Versuch des Drachens, mich zu beruhigen, beruhigte mich nicht sonderlich. Im Gegenteil, jetzt schwirrten mir Bilder im Schädel herum.
Ich, tot, eine blutige Masse irgendwo in der mächtigen stillen Wüste. Kriechende Angst schlängelte sich um meinen klar denkenden Verstand und schürte ihn ein.
Jämmerlich begann ich zu zittern, doch ich wich nicht. Das Lächeln des Drachens schien mich zu verhöhnen.
Seine tückischen Augen musterten mich langsam und neugierig. "Du läufst nicht davon, das bin ich nicht gewohnt, Menschling! Antworte mir, wer bist du?"
Irgendwie konnte ich Mut aufbringen, genügend Mut, um zu sprechen. "Mein Name ist...", stotterte ich verzweifelt, im tödlichen Angesicht der Kreatur vor mir.
"Was bist du, was tust du?", dröhnte die Stimme wieder, doch kein Schmerz begleitete die Stimme jetzt auf dem Weg in meinen Kopf.
"Ich bin ein Barde, ein Geschichtenerzähler. Ein Sänger, ein Schauspieler.", sagte ich mit bebender Stimme. "Und wer seid ihr?", fragte ich schüchtern.
Ein Funkeln trat in die Augen des Drachens, man hätte meinen können, es sei Erstaunen.
"Wahrlich, noch niemand hat es gewagt, mir diese Frage zu stellen! Ich bin... beeindruckt. Ich bin der letzte Drache meiner Art. Deinesgleichen machte Jahrhunderte lang jagt auf mein edles Volk, bis ich meinen Stolz bezwang und den Menschen ihre närrische Arroganz liess. Ich floh hierhin. Die Menschen sind eine Plage, wie Würmer!
Einer alleine dient gut als Frühstück, mehrere davon sind gut für spannende Unterhaltung, doch wenn sie sich zu hunderten zusammenrotten wie die Feiglinge, hat sogar mein edles Geschlecht keine Aussicht auf den Sieg!!" Er fauchte wütend, aber ich meinte auch tiefe Trauer zu hören.
Also sagte ich: "Ich verabscheue diese Drachenjäger ebenso wie ihr, grosser Drache, den sie zerstören den Stoff, aus dem die Legenden sind, die ich erzählen will.
Und ich frage mich: Wie kann man so ein schönes und edles Wesen wie euch, grosser Drache, überhaupt angreifen?"
Plötzlich dachte ich, das ich seinen Namen kennen sollte. "Wie lautet euer Name?"
Der Drache, dessen Schuppen jetzt gelblich oder golden schimmerten, scharrte mit seinem stacheligen Schwanz über das glatte Eis.
Er schien nachzudenken. Schliesslich antwortete er nach einer ganzen Weile: "In Namen wohnt Macht, in denen der Drachen ganz besonders grosse. Ich kann einem einfachen Menschling nicht mein innerstes Ich offenbaren. Doch ich habe eine Idee: Erzähle eine Geschichte. Wird sie mir behagen, werde ich dir meinen Namen anvertrauen, denn dann bist du kein gewöhnlicher Menschling mehr."
Ich erklärte mich mit einem fast unmerklichen Nicken einverstanden. Der Drachen schnaubte zufrieden, beugte seine Beine und liess sich auf den kalten Boden sinken.
Bei jedem anderen Wesen dieser Grösse hätte das ulkig gewirkt, doch der Drache versprühte eine mächtige Aura voller Ruhe und Kraft, seine Bewegungen wirkten eleganter als diejenigen eines Eflen. Seine gelben Reptilienaugen blickten mich voller Erwartung an.
Ich begann zu grübeln, was ich denn erzählen sollte. Nicht, weil ich zu wenige Geschichten kannte, sondern weil ich befürchtete, dass die meisten von ihnen bei meinen reptilischen Publikum nicht ankommen würden. Immerhin drehen sich einige der bekanntesten Geschichten um den Tod der Drachen.
Ich fühlte mich ausserstande, eine meiner alten Geschichten zu offenbaren.
Da erfand ich eine. Ich begann zögerlich zu erzählen, während ich den Handlungsstrang beim Sprechen spann.
Irgendwann sprudelten die Worte nur so aus meinem Mund, die Geschichte erzählte sich von selbst, während die Sonne versank und der Mond, in bleichem, fahlem Licht erstrahlend am Horizont erschien und lange blieb, um ebensfalls meinen Worten zu lauschen. Ich erzählte vom tragischen Los der stolzen Drachen, obwohl ich nicht viel darüber vernommen hatte. Ich erfand ihre Geschichte neu, erweckte sie zu neuem Leben. Alles war ehrlich gemeint.
Die gelben Augen der Bestie, die, wie ich jetzt erkannte gar keine war, verloren ihr misstrauisches Funkeln, das wohl allen Drachen eigen war.
Als ich meine vor Ort erfundene Geschichte beendet hatte, kitzelten die ersten Strahlen der Sonne das wogende Meer, das Wasser war von einem dunklen Orange.
Der Drache schien nachdenklich, blieb regungslos. Gespannt schaute ich zu ihm hoch, blickte so tief in seine schlauen Reptilienaugen wie noch nie und dachte:
Wir haben soeben beide gewonnen! Auf der erstaunlich ausdrucksvollen Mine des Giganten erschien wieder dieses sonderbare Lächeln, diesmal schien es eindeutiger zu sein. Aller Spott und alle Herablassung oder Zorn schien von ihm gewichen zu sein.
"Mein Name ist Ogremahimos.", sprach der Drache ernst und beugte seinen Kopf, wie um seine Ehrerbietung in einer tiefen Verbeugung offen zu enthüllen.
der-Olifant
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Beitrag von der-Olifant »

5. Drachenfreund

Ich schlief tief und fest, kein Traum störte meine Ruhe. Wahrscheinlich habe ich in meinem Schlummer gelächelt, ich war glücklich.
Ich erinnere mich, dass der Drachenhort warm gewesen war, obwohl aus Eis, vielleicht durch den feurigen Körper meines Gastgebers. Auf dem Boden lag ich, neben mir wachte Ogremahimos, seine rot und orange schimmernden Flügel dicht an seinen gewaltigen Körper gepresst.
Ich schlief lange, sehr lange, den ganzen Tag durch bis zum nächsten Morgengrauen, als die Sonnenstrahlen als freundliche Eindringlinge in die Höhle schlichen, die schuppige Haut des Drachens zum glühen brachten und mich weckten.
Eine tiefe, ruhige Stimme ertönte da in meinem frisch ausgeruhten Verstand: "Ein zweischneidiges Schwert, ohne es wäre der Held nicht mutig und der Narr nicht feige..."
"Ogremahimos... Was sagt ihr?", fragte ich verwirrt.
"Es ist ein Rätsel, das auf dich zutrifft, mein Freund."
Ich wartete auf eine weitere Aussage, doch sie blieb aus. Ich fragte mich: Was könnte das sein? Doch ich konnte das Rätsel nicht lösen, obwohl ich tief in mir drin die Antwort wohl wusste.
Die Stimme von Ogremahimos erklang wieder: "Es ist die Angst. Ohne die Angst wären diejenigen, die sie in Stärke und Mut verwandeln können, nichts. Bisher habe ich geglaubt, Menschen haben keinen Mut, nur Dummheit welche die Gefahr nicht erkennen lässt. Ich muss meine Meinung ändern, du hast deine Angst bezwungen und eine Geschichte daraus geformt, die mich berührt hat. Du kennst meinen stolzen Namen, du hast die Anerkennung eines Drachens. Du bist ein wahrer Freund unseres Volkes." Feierlichkeit schwang in seiner Stimme mit.
Völlig erstaunt sah ich ihn an, dass so ein starkes, stolzes Wesen mich als eines der ihren sah, hätte ich nie für möglich gehalten.
Ich öffnete den Mund, senkte den Blick und sprach laut: "Ich nur ein einfacher Barde, und darum bedanke ich mich für deine Worte, Ogremahimos."
Der Drache lachte nun so laut, das sein Hort erzitterte. "Ja, ein einfacher Barde magst du wohl sein, doch ich bin auch nur ein einfacher Drache! Ich weiss nicht, was uns zusammengeführt hat, weiss aber, was uns zusammenhalten wird."
Ogremahimos drehte sich elegant um begutachtete einen Eisblock an der Höhlenwand. Er liess ein zufriedenes Schnauben ertönen, hob seine schrecklichen Pranken und zerstörte den Block. Feine Eisstücken schlitterten über den Boden. Ich fragte mich, ob Ogremahimos den Verstand verloren habe, doch dann bemerkte ich etwas, was meine Blicke auf sich zog. Zwischen den Eissplittern leuchtete etwas golden, direkt vor meinen Füssen. Es muss vorher im Eis gefangen gewesen sein, dachte ich staunend. Es musste ein Drachenschatz sein! Langsam näherte ich mich dem schimmerndem Gegenstand.
Ich bückte mich, hob es auf und hielt es mir vor die Augen. Es war ein goldenes Amulett. Es war länglich, gezackt und in der Mitte prunkte ein kleines blaues Auge.
Ein Reptilienauge, so schien es mir. Ich starrte es bewundernd an. "Oh, es ist so... bezaubernd!", sagte ich wie vom grausigen Weib verhext.
"In diesem Schmuckstück lebt die Seele meines edlen Bruders weiter. Drachenjäger erschlugen ihn vor Jahrhunderten, doch eine Frau, eine Hexe, an die ich mich erst jetzt wieder erinnerte, rettete seinen Geist und schenkte ihm mit diesem Amulett ein sicheres Heim. Ich konnte ihre Beweggründe nie nachvollziehen, doch ich glaube die Menschenhexe tat es aus Mitleid. Nun existieren also schon zwei Freunde des stolzen Volkes der Drachen!"
Ich runzelte verwirrt die Stirn. "Zwei? Aber die Hexe wird doch bestimmt schon tot sein. Es sind Jahrhunderte vergangen..."
Ogremahimos lächelte wissend und schüttelte kaum merklich den riesigen Schädel, eine Geste, die er wohl von den Menschen aufgeschnappt hatte.
"Oh nein, ich denke sie ist nicht tot. Das würde ich sehr bezweifeln..." Der Drache schien mit seinen Gedanken in der Vergangenheit zu verweilen.
"Ogremahimos?", fragte ich leise.
Die Reptilienaugen richteten sich plötzlich wieder auf mich. "Ich schenke dir das Amulett. Unter einer Bedingung, die du, wenn ich dich richtig einschätze, sowieso erfüllen wirst. Verliere es nicht, verkaufe es nicht, gib es nie aus deiner Hand. Niemand sollte das Amulett sehen, nach Möglichkeit."
Ich lächelte unsicher und warf nocheinmal einen Blick auf das goldene Schmuckstück, das Grab der Seele eines Drachens.
"Sei versichert, ich werde deiner Bitte nachkommen! Aber was soll ich mit der Seele eines Drachens nur bewerkstelligen? Dein Bruder wäre bei dir bestimmt besser aufgehoben..."
Ogremahimos schloss die Augen, schüttelte heftig den Kopf und wedelte ungeduldig mit dem stachelbewehrten Schwanz.
"In den Drachen wohnt starke Magie, alte Magie. Wie du bestimmt bemerkt hast, kannst du meine Gedanken in deinem Kopf sehen und hören. Bei Drachen untereinander ist diese Gabe viel stärker, wir vermögen über tausende Meilen unsere Gedanken dem anderen mitzuteilen. Ich bin mir sicher, es wird meinem Bruder ein Vergnügen sein, dir zu helfen, uns über grosse Distanzen zu bereden, da bin ich mir ganz sicher."
Ich traute mich nicht zu fragen, wieso es so wichtig sei, das wir miteinander sprechen können. Aber ich wusste bestimmt, das es einmal wichtig sein würde.
"Behandle das Schmuckstück, wie du einen Drachen behandelst. Mit Respekt und Ehrfurcht, denn unsere Rasse ist stolz und rachdurstig."
"Nun denn, edler Ogremahimos, ich denke die Zeit ist gekommen, da ich gehen muss."
"Wahr gesprochen, grosser Barde, ich hoffe wir sehen uns vor dem Ende der Welt wiedereinmal, hören werden wir uns sowieso. Lebt wohl, Freund des stolzen Volkes der Drachen!" Der stolze Ogremahimos verbeugte sich wiede vor mir, was mich immer ganz aus der Fassung gebrach hatte.
Unsicher vollführte auch ich die tiefe Verbeugung, meine langen Haare fielen mir ins Gesicht. "Lebt wohl, Ogremahimos."
Dann drehte ich mich um, legte mir das Amulett um den Hals und ging ohne mich nocheinmal umzudrehen. Das Eis knackte traurig unter meinen Füssen.
Leise flüsterte ich noch: "Auf Wiedersehen, letzter Drache..." Dann begann ich den Abstieg.
Der Weg nach Hause war dunkel und nebelverhangen, die Erlebnisse legten sich wie ein Schleier über meinen Weg. Irgendwie kam ich wieder zum Fusse des windigen Gipfels, irgendwie durchquerte ich die stille Wüste. Kälte wurde mein Vertrauter, Hunger mein Begleiter. Die Sonne trat dutzende Male während meiner Reise über den Horizont und verschwand wieder, der Mond schien mir zu folgen. Nach Wochen des Umherirrens war mein Verstand zerstört, ich nahm nur noch das Knirschen des Schnees unter meinen Sohlen wahr, ich war wie ein Schlafwandler, Wochen lang. Meine Gedanken, wenn ich welche hegte, wanden sich um den Drachen, dessen Stimme ich nun schon lange nicht mehr gehört hatte. Der Alptraum dauerte lange, doch irgendwann trat ich halbtot durch das steinerne Tor eines kleinen Dorfes irgendwo im eisigen Norden. Als ich ankam, hatte ich seit einer Woche nichts mehr gegessen, nur Schnee, um nicht zu verdursten. Meine Glieder waren beinahe abgefroren, mein Körper war blau. Lange Zeit mussten mich die Dorfbewohner füttern, wärmen und pflegen.
Wie war ich glücklich, als ich wieder gehen konnte! Als Dank überliess ich den freundlichen Bewohnern die Kette, an der mein Amulett befestigt war.
Sie war aus Gold und bestimmt viel wert. Natürlich übergab ich ihnen nur die Kette, nicht das Amulett, obwohl einige der armen Bewohner neidisch auf es geschielt hatten.
So weit reichte meine Dankbarkeit nicht, das ich den Zorn eines Drachens auf mich zog.
Und wieder machte ich mich auf den Weg, das Amulett in meiner Hosentasche schien mir den Weg zu weisen.
Seit Jahren nun schon ziehe ich durch die Welt, bis hier in den tiefen Süden, um weitere Freunde des stolzen Volkes der Drachen zu gewinnen."

Stille herrschte nun in dem alten Wirtshaus, als der Barde seine Geschichte beendet hatte. Jemand räusperte sich leise, sagte dann doch nichts.
Dann überwand sich der Wirtshausbesitzer, der immer noch stand: "Ich glaube euch diese Geschichte nicht, aber sie hat uns hier erfreut. Ihr seid heute Nacht willkommen, kostenlos in einem unserer Betten zu übernachten." Die Worte klangen wiederwillig.
Neben ihm stand eine Frau, die lächelte. Die Ehefrau des Besitzers, dachte der Barde. Wahrscheinlich hat sie ihn dazu gebracht, mich aufzunehmen.
Er grinste fröhlich. "Vielen Dank, werter Herr. Sie sind zu gütig!"
Der Mann schien wieder wütend zu werden, doch seine Frau siess ihn immernoch lächelnd in die Seite.
Die Nacht war nun weit fortgeschritten, doch der Sturm hatte nachgelassen. Die Gräser schaukelten Leicht im Wind, Tropfen fielen von ihnen herab.
Auch die schweren Tannen hatten sich beruhigt, still und wartend wie immer standen sie da.
Der Barde streckte sich müde. Schnell erhob er sich von seinem Stuhl, schnippte dem Besitzer eine Kupfermünze hin. "Für das Bier!"
Die morschen Holzbretter knarrten geplagt, als der Barde zur Treppe ging. Dann drehte er sich um, hob seine Arme in die Höhe und sagte: "Nehmt nicht alles als bare Münze, was ich euch erzähle, nicht alles, was aus meinem Mund kommt ist die Wahrheit!"
Dann war er schon auf den Stufen der altersschwachen Treppe. Das letzt, was die Gäste der Taverne diesen Abend von ihm hörten war:

"Trinke nicht von diesem Biere,
es riecht wie der Hintern von nem Tiere,
Was, du willst es dennoch trinken?
Keuchend wirst du zu Boden sinken!"

Als der Barde oben angekommen war, begab er sich zum erstbesten Zimmer, machte die Tür auf und trat ein. Natürlich war es bescheiden, was hätte er denn auch anders erwarten können. Ein niedriges Holzbett füllte beinahe den ganzen Platz des Raumes aus, neben ihm stand ein ebenfalls hölzernes Tischchen und ein alter, halbverfallener Stuhl. Ein Fenster zeigte die Nacht in all ihrer Dunkelheit. Einige Wassertropfen begaben sich auf die lange Reise vom oberen Rand des Fensters zum unteren.
Der Barde seufzte, als er die Kälte bemerkte, die den Raum beherrschte. Erinnernungen stiegen auf.
Dann langte er in eine seiner Taschen an seiner Hose. Als seine Hand wieder auftauchte, befand sich in ihr ein Amulett. Es war golden, ein unheimliches, blaues Repilienauge prunkte in der Mitte des Schmuckstückes. Der Barde hob es sich vor sein Gesicht, schaute das Auge lange an und sagte dann:
"Tut mir Leid, dass ich deine Geschichte erzählt habe, doch sie sahen so niedergeschlagen und gelangweilt aus. Vieleicht hätte ich sogar einen von ihnen als Freund der Drachen entlarven können." Der Barde lächelte, doch es war kein spottendes, sondern ein ehrlich fröhliches.
"Ich wünsche dir eine gute Nacht, Ogremahimos, stolzer Drache!" Dann versteckte er sein Amulett wieder in seiner Tasche und stieg ins Bett.
Er träumte von edlen Drachen, die in den Wolken hoch über ihm durch die stürmischen Lüften segelten, elegant wie die Vögel, schön wie der Tod.

Ende
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